Beide Mannschaften spielten nicht komplett. Pfullingen beklagte Corona-Ausfälle, vor allem das Fehlen von Torjäger Lukas Fischer schmerzte. Die Gastgeber hätten die Partie gern verlegt. Für eine offizielle Absetzung waren es zu wenig Fälle. Beim HCOB wollte man auch nicht zustimmen. Einer von mehreren Aspekten: alle Spiele müssen bis zum 13. März nachgetragen sein. Da führt jede Verlegung zu einer englischen Woche. Wenn dann das Corona-Pech zuschlägt, fehlen Akteure schnell in drei Partien. Für die VfL-Fans gab es eine gute Nachricht: Rückraumspieler Jannik Hausmann, zuletzt mit dem HSV Hamburg in die Bundesliga aufgestiegen, war erstmals für den Verein am Ball, eine prominente Verstärkung für den Saisonendspurt.
Der HCOB musste auf dem Feld auf Tim Düren und den zuletzt im Nachbarschaftsduell gegen den SV Salamander Kornwestheim so starken Rückraumspieler Timm Buck verzichten. Ungewöhnlich – aber solche Konstellation ergeben sich derzeit – war außerdem, dass sowohl Trainer Matthias Heineke als auch Co-Trainer Sebastian Frank fehlten. Sie verfolgten die Begegnung von zuhause, starrten gebannt auf den Bildschirm und drückten digital Daumen. Teammanager Jonas Frank und der Sportliche Leiter Jochen Bartels übernahmen in der Kurt-App-Halle das Kommando – letzten Endes erfolgreich.
Dabei versprühte die Begegnung nicht den Glanz vergangener Duelle. Das Spieltempo war nicht so hoch. Beide Mannschaften ließen wenig Gegenstöße des jeweiligen Rivalen zu. Treffer wurde meist aus dem Positionsspiel heraus erarbeitet. So erreichten die Teams eine für ihre eigenen Verhältnisse unterdurchschnittliche Torausbeute. Zudem sorgten technische Fehler und ungenaue Würfe immer wieder für Ballverluste. Überzeugend waren hingegen Kampfgeist und Leidenschaft, beide Teams fighteten um jeden Zentimeter auf dem Spielfeld, von der ersten bis zur letzten Minute.
Pfullingen erwischte den besseren Start. Niklas Roth brachte die Gastgeber mit 2:0 in Führung. Er war der überragende Spieler in Reihen der Gastgeber. Auch in Bedrängnis kam er immer wieder erfolgreich zum Torabschluss, am Ende standen elf Treffer für den 22-Jährigen zu Buche. Auf der Gegenseite war Tobias Gehrke mit seinem Zug zum Tor kaum auszuschalten. Rechtsaußen Marcel Lenz traf zuverlässig und nutzte auch die Siebenmeter. Felix Raff sorgte beim 5:4 für die erste Gästeführung, die einige Zeit Bestand hatte, aber auch nie anwuchs. Beim 14:12 kurz vor der Pause versäumten die Gäste, sich weiter abzusetzen. Drei technische Fehler und ein Fehlwurf in Serie sorgten stattdessen für einen 14:15-Pausenrückstand.
Nach Wiederanpfiff blieb es eine enge Kiste. Die Mannschaften ließen kaum einen Gleichstand aus. Pfullingen legte nach 42 Minuten in Überzahl ein 21:19 vor, der HCOB glich durch Jakub Strýc und Ruben Sigle aber umgehend aus. In der Schlussphase intensivierten die Murrtaler die Abwehrarbeit. Immer wieder war Jürgen Müller zur Stelle, auch seine Vorderleute erarbeiteten sich zahlreiche Ballgewinne. Luis Villgrattner spielte im Angriff mit, ein vielversprechender Auftritt. Er erzielte den wichtigen 23:23-Ausgleich. Ruben Sigle und Marcel Lenz legten zum 25:23 nach, noch 12 Minuten.
In denen ließ der HCOB den Ausgleichstreffer nicht mehr zu. Zwei, drei Mal hatte Pfullingen die Chance dazu, doch bei Jürgen Müller war oft Endstation. Auf der Gegenseite sorgte Ruben Sigle zwei Minuten vor dem Ende mit dem 28:26 für einen Big Point. Entschieden war die Begegnung noch nicht. Der HCOB versäumte nach einer Auszeit, einen Drei-Tore-Vorsprung herauszuwerfen. Stattdessen gelang dem VfL per Gegenstoß zu Beginn der Schlussminute das 28:27. Auf der Gegenseite erzielte Luis Villgrattner sehenswert das 29. Tor, aber es wurde nicht anerkannt. So hatte der VfL den letzten Angriff. Jannik Hausmann wollte per Unterarmwurf den Ausgleich erzielen, doch Tobias Gehrke hatte die Hände dazwischen. Der Ball kullerte ins Aus, die Uhr tickte herunter.
Stimmen zum Spiel
Teammanager Jonas Frank: „Ohne Trainer und Co-Trainer antreten zu müssen war für uns eine besondere Situation. Aber alle haben es super angenommen. Wir haben über 60 Minuten eine kämpferisch sehr gute Leistung gezeigt. Und wir hatten in den entscheidenden Momenten in der Abwehr immer wieder Ballgewinne. Auf diese Weise haben wir am Ende das Glück erzwungen.“
VfL-Trainer Daniel Brack: „Wir haben eine gute kämpferische Leistung gezeigt. Aber Torwart Jürgen Müller hat heute überragend gehalten.“
Rund ums Spiel
Das Spiel war nichts für schwache Nerven – für die Zuschauer in der Halle nicht, und für Matthias Heineke in Quarantäne sowieso nicht. Er blickt während der rund eineinhalb Stunden dauernden Begegnung gebannt ins heimische Fernsehgerät und meinte anschließend: „Ich glaube, jetzt brauche ich Bluthochdruckmedikamente. Mir ist das Spiel mindestens dreimal so lange vorgekommen wie normal.“ Co-Trainer Sebastian Frank teilte Matthias Heinekes Schicksal und meinte: „Meine Freundin hat geschaut, ob wirklich alles okay ist, weil ich das ganze Haus zusammengeschrien habe. Das war hoffentlich das erste und einzige Mal, dass ich so etwas miterleben musste.“ Beide hoffen, am kommenden Wochenende zum Heimspiel gegen den TuS Fürstenfeldbruck wieder vor Ort sein zu können. So leidvoll das räumlich getrennte Mitfiebern mit dem eigenen Team auch war, über die beiden Punkte freuten sich beide sehr.
Einen bewegten Tag hatte Luis Villgrattner hinter sich: morgens wurde bekanntgegeben, dass er auch im kommenden Jahr für den HCOB spielen wird. Abends trug er – vorne wie hinten – maßgeblich zum Auswärtssieg in der Stadt bei, in der er aufgewachsen ist. „Das war ein wilder und aufregender Tag heute. Wir haben kein gutes Spiel gemacht, aber wir haben total geil gekämpft, da bin ich megastolz auf alle Jungs. Wir sind einzigartig zusammengestanden.“ Fast hätte Luis Villgrattner am Ende dem Ganzen 25 Sekunden vor dem Ende mit dem 29:27 die Krone aufgesetzt, doch die Schiedsrichter entschieden auf Schrittfehler. Erst ärgerte sich Luis Villgrattner darüber, aber kurz darauf war er wieder happy: „Wir haben die zwei Punkte – fertig.“
Für den Kampf um den Verbleib in der oberen Tabellenhälfte – und damit gegen den Gang in die Abstiegsrunde - war der Auswärtssieg für den HCOB sehr wichtig. Denn trotz einer Ausbeute von 23:13 Punkten und Rang vier sind es weiter nur zwei Pluspunkte Vorsprung auf Rang sieben. Es bleibt also spannend und jeder Punkt zählt. Pfullingen büßte durch die Heimniederlage Rang zwei ein. Die HSG Konstanz unterdessen steht dadurch als erster Teilnehmer an der Aufstiegsrunde zur zweiten Bundesliga fest.